Es ist bemerkenswert, wie sich die wahlkämpfenden Bürgermeisterkandidaten von CDU und SPD in der Frage „Bürgerbeteiligung“ versuchen zu überbieten.
Gerade heute morgen veröffentlicht der Kandidat der CDU seine Position zum Thema "Bürgerbeteiligung". Diese Position reduziert sich darauf, dass sich die Bürgerinnen und Bürger jederzeit an ihn
persönlich wenden könnten, wenn sie ein Anliegen haben. Er beantwortet alle Briefe selbst. Auch macht er regelmäßig auf den Wochenmärkten Infostände und veranstaltet Bürgersprechstunden, bei
denen man zu „Papa“ kommen kann.
Diese Auffassung von Bürgerbeteiligung nach Gutsherrenart ist mir in den letzten Jahren in der CDU häufig begegnet. Es ist tatsächlich die feste Überzeugung, dass es völlig ausreicht, wenn die
Menschen zu den Veranstaltungen der CDU kommen oder besser auch Mitglied werden. Das sei genug und würde seit Jahren „gut“ funktionieren. Dieses ist das alte Bild eines Patriarchen, der eine
Audienz gewährt und dann auswählt, wem er hilft und wem nicht. Früher hat meist der Vater die wichtigsten Entscheidungen in der Familie getroffen. Doch so läuft es heute nicht mehr, – und zwar zu
Recht.
Doch bei einer einer demokratischer Bürgerbeteiligung geht es um die Form des Gehört- und dem Erhörtwerden. Dabei darf nicht das Gesetz gelten, wer am lautest schreit bekommt auch am meisten.
Doch genau dieses Prinzip haben wir die letzten fünf Jahre in dieser Stadt erlebt, denn in dieser Zeit hat immer nur der Bürgermeister entschieden, welche Anliegen aus den 1.500 Briefen ihm
wichtig waren und welche nur eine freundliche Antwort bekommen haben. Auch musste der ein oder andere Pulverfabrikant, großzügiger Spender, Bankier oder Parteifreund nicht zum Wochenmarkt gehen,
um im Wartebereich auf einen Termin mit dem Chef zu warten. Dieses Prinzip einer Bürgerbeteiligung nach Art eines Patriarchen ist längst überholt, denn es ist nur Tarnwerk für die traditionelle
Vetternwirtschaft, wie wir sie aus dieser Stadt kennen.
Mehr Bürgerbeteiligung gegen die eigene Partei?
Der Bürgermeisterkandidat der SPD formuliert seine populistischen Vorstellungen über Bürgerbeteiligung nur wage und bleibt mit seinen Ideen schon bei seiner eigenen Partei stecken. Die SPD hat im
Stadtrat erst vor wenigen Tagen einen Bürgerentscheid zum Thema Energieversorgung abgelehnt, weil sie die Bürgerinnen und Bürger für zu dumm hält. Die Absage an mehr Bürgerbeteiligung durch die
SPD im Stadtrat waren unmissverständlich und in ihrer Deutlichkeit lauter, als sie von der CDU formuliert wurde. Gleich mehrere führende SPD-Stadtverordnete bekannte sich ausdrücklich dazu und
lehnten es ab, ihre Kompetenzen an die Bürgerinnen und Bürger abzugeben. Die Botschaft der SPD-Fraktion war klar gegen mehr Bürgerbeteiligung gerichtet, welche der SPD-Kandidat aber dem Wahlvolk
verkaufen möchte. Als Element einer offenen Bürgerbeteiligung setzt der SPD-Kandidat auf Zukunftswerkstätte, in denen die Menschen der SPD mitteilen, welche Anliegen sie haben. Diese Form
dokumentiert, wie weit sich die SPD von dem Modell einer Volkspartei entfernt hat. Bei der großen Schau in der Fußgängerzone ging es wohl eher darum, was die aktiven SPD-Mitglieder von ihrer
Partei erwarten. Viele parteilose Bürgerinnen und Bürger haben sich nicht zu Wort gemeldet, um mehr SPD-Ausflugsfahrten zu fordern.
Man kann gespannt sein, wie der „neue SPD Bürgermeister“ seine eigene abgehobene Partei davon überzeugen will, dass mehr direkte Bürgerbeteiligung wirklich Sinn macht. Doch das ist eher
unwahrscheinlich, denn selbst im Wahlkampf ist das nicht gelungen. Die SPD hat den eigenen Kandidaten eiskalt im Regen stehen lassen als es um mehr Demokratie ging.
Rathaus verschleppt mehr Bürgerbeteiligung
Seit sechs Wochen wartet eine Bürgerinitiative auf eine Antwort aus dem Rathaus Bergisch Gladbach über ein Bürgerbegehren zum Thema
Energieversorgung. Die große Koalition aus SPD und CDU verschleppen die Kostenschätzung zu einem formalen Bürgerbegehren, wie es die Gemeindordnung NRW in §26 vorsieht, offensichtlich
absichtlich, um mehr demokratische Bürgeberteiligung zu verhindern. Warum reden diese beiden Parteien und deren Kandidaten von Demokratie, wenn sie diese an andere Stelle offenkundig behindern?
Bürgerbeteiligung bedeutet mehr Demokratie
Bei mehr Bürgerbeteiligung geht es nicht darum, die repräsentative Demokratie abzuschaffen. Ziel muss es es vielmehr sein, diese „behutsam zu ergänzen“ und Demokratie weiter zu entwickeln. Die Bürgerinnen und Bürger wollen mehr Entscheidungsbefugnisse und Mitwirkungsmöglichkeiten. Es reicht nicht aus Bürgerbeteiligung mit Bürgersprechstunden, Kummerbriefkästen, in frontalen Info-Veranstaltungen oder unverbindlichen Bürgerwerkstätten in der Fußgängerzone mehr Bürgerbeteiligung zu simulieren, wenn dann am Ende sogar die eigene Partei anders entscheidet. Alle müssen gleichberechtigt behandelt werden; die Lauten und die Leisen, die Reichen und die Armen, die Starken und die Schwachen, …
Ohne echte direkte Demokratie, wirksame Mitwirkungsmöglichkeiten und Transparenz vor Ort ist eine echte Beteiligung an Entscheidungen undenkbar. Dazu brauchen wir wirkliche Abstimmungs- und
Entscheidungsrechte, wie sie zum Beispiel ein Bürgerentscheid ermöglicht. Die Parteien im Stadtrat müssen auf ihre Rechte verzichten und diese zunehmend an die Menschen übergeben.
Bürgerwerkstätten müssen konkrete Aufträge und Befugnisse bekommen und für die Stadt umfassende Konzepte entwickeln, welche dann zur Grundlage städtischen Handels werden.
Bürgerhaushalt für Bergisch Gladbach
Wir benötigen einen Bürgerhaushalt, an denen sich alle beteiligen können und über die zukünftigen Finanzen der Stadt nicht nur “fragen”, sondern auch entscheiden dürfen. Ein demokratischer
Bürgerhaushalt ist mehr als ein oder zwei Anhörungen von interessierten Bürgerinnen und Bürger, die Vorschläge für Kürzungen machen dürfen. Mit einem echten Bürgerhaushalt ginge es der bekannten
Vetternwirtschaft und den Lobbyisten endlich an den Kragen. Bei allen Entscheidungen über den städtischen Haushalt muss der Mensch im Mittelpunkt stehen und nicht der Machterhalt einer Partei
oder die Interessen einzelner „Amigos".
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