Die Debatte um das hohe Spendenaufkommen für Notre-Dame zeigt die Spaltung und Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas auf.
In der deutschen Diskussion um das hohe und sehr schnelle Spendenaufkommen für die Beseitigung der Brandschäden von Notre-Dame wird deutlich wie tief die gesellschaftliche Spaltung tatsächlich
ist. Die einen zeigen sich erbost über die hohen privaten Spenden von Superreichen und die anderen beschimpfen diejenigen, die die Helfer (egal wie reich) entmutigen würden. Da werden
Straßenhunde in Bulgarien, Brunnenbauten in Afrika oder Flutopfer bemüht, denn der Mensch sei wichtiger als ein altes Bauwerk während andere den Symbolwert der über 850 Jahre alten Kirche in
Paris nicht hoch genug einschätzen.
Verlogenheit und peinliche Polemik.
Die zahlreichen polemischen und unreflektierten Kommentaren in den sozialen Medien werden nur noch von gleichlautenden Texten überschattet, die von „Journalisten“ in der deutschen Presse in
schwarzer Druckerfarbe auf Papier verbreitet werden. Da werden die Urheber von Kritik an den hohen Spenden als antichristlich diffamiert, die ausschließlich negative Themen verbreiten würden und
schon immer alles miesmachen würden, was ihnen nicht in ihr Weltbild passen würde. Es werden sogar Namen von Prominenten genannt, die öffentlich Kritik geäußert haben und dazu auch deren Bilder
ähnlich wie Fahndungsfoto von Tätern verbreitet. Auf der anderen Seite wird die 100-Millionen Euro Spende kritisiert, die nur von einer einzigen Familie stammt, andere erinnern sogar an die Opfer
der Hexenverbrennung oder die Verbrechen der Kreuzzüge, die die Kirche zu verantworten hat. Auf allen Seiten ist es entweder Neid aber offensichtlich Unverständnis gegenüber anderen Positionen zu
spüren.
Wer soll das bezahlen?
Üblicherweise hören wir sonst immer von einer Seite das Argument, das dafür "kein Geld da sei" und das man das bei der "engspannten Haushaltslage" nicht bezahlen könnte. Zu Notre-Dame hört man
das nur unterschwellig. Interessant ist, dass es diesmal andere sind, die den Zeigefinger in die Finanzwunde legen, während die üblichen Verdächtigen dazu schweigen oder Finanzunterstützung
einfordern.
Die Fronten sind verhärtet und kaum jemand lässt sich ganz nüchtern und sachlich die Frage ein, wem Notre-Dame eigentlich gehört und wer die Verantwortung für eine Rekonstruktion übernehmen
sollte oder sogar muss. Der Erhalt von Kulturerbe ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und tatsächlich gibt es eine große Einigkeit darüber, dass man das französisch-europäische Wahrzeichen
wiederherstellen sollte und muss. Auch diejenigen, die sich über die Spendenexplosion verwundert zeigen, befürworten dies.
Tatsächlich kann es nur darum gehen, wie man es finanziert und woher das Geld kommen soll. Werden staatliche Mittel also Steuereinnahmen verwendet oder soll der Restauration privatisiert und
durch Spenden finanziert werden? Würde man den Staat zu 100% in die Verantwortung nehmen, würden diesem Geld an anderen Stellen fehlen, wo es dringend benötigt wird. Bezahlt man alles aus
privaten Spenden bleibt aus dem Spendenkuchen weniger für andere soziale Projekte und Herausforderungen übrig.
Was bleibt ist die Verwunderung, dass es Menschen gibt, die 100 Millionen Euro Spenden aus ihrer Portokassen zahlen können und über die daraus folgende zunehmenden Vergiftung und Spaltung unserer
Gesellschaft. „Enteignung“ rufen die einen und fordern eine soziale Umverteilung während die anderen von Freiheit und Privatsache sprechen und Verwunderung direkt als Neid interpretieren.
Niemand ist gegen private Spender und alle freuen sich über Menschen, die ein Teil ihres privaten Vermögens für soziale, kulturelle oder ökologische Projekte und Aufgaben einsetzen. Das ist nie
schlecht, sondern immer gut. Trotzdem stimmt es nachdenklich, dass der Staat sich selbst immer stärker einschnürt und finanziell kastriert und damit die oben genannten gesellschaftlichen
Herausforderungen immer weniger aus eigenen Mitteln finanzieren kann. Es darf nicht sein, dass man das Wohl der Menschen, den Schutz unseres Kulturerbes oder unserer Umwelt denjenigen überlässt,
die es sich leisten können diese mit Privatspenden zu übernehmen.
Ganz zu Ende und sehr überspitzt gedacht entscheiden die Privatspender (ob kleine oder große Spender) darüber, was mit Notre-Dame gemacht wird und was nicht. Es darf nicht sein, dass der ganze
Rest, Schrott und Abschaum, welche für Spender nur wenig Prestige oder Gewissensberuhigung einbringt, dem Staat überlassen wird, der aber selbst dafür längst keine Mittel mehr hat.
Die Frage, warum man diejenigen, die eh schon über große Vermögen verfügen, nicht schon vorher so besteuert, dass der Staat wieder über genug Einnahmen verfügt, wird zwar gestellt, aber
widersprüchlich beantwortet. Dieses versinkt in politischer Polemik und dogmatischen Sprechblasen.
Freundliche Helfer versus Miesmacher ...
Und dann ein ganz anderes Gedankenspiel: Wir können uns kaum vorstellen was passieren würde, wenn keine 800 Millionen Euro Spenden für Notre-Dame zusammengekommen wären. Würde der französische
Präsident Macron sich dann schon wenige Tage nach dem Brand medienwirksam und unter Applaus in Szene setzen, um lauthals zu verkünden, dass in nur fünf Jahren (in seiner möglichen zweiten
Amtszeit) alles wieder heil ist?
Wir würden uns darüber streiten, wer nun für den „Fortbestand“ bezahlen soll und nicht über freundliche Helfer versus böse Miesmacher? Die heißgeliebten Fronten wäre die gleichen, möglicherweise
vertauscht, doch die Argumente wären alte Bekannte.
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